Rezensionen

Alain Nafilyan (Hrsg.), mit Beiträgen von Florence Journot und Yannick Le Digol

La demeure urbaine à pans de bois (Das städtische Fachwerkhaus)

Éditions du Patrimoine/Centre des monuments nationaux
Paris 2023
385 S., zahlreiche Abb.
ISBN 978-2-7577-0864-4
39 EUR

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Rezension

Klaus Freckmann, Berlin

Der Hauptbegriff im Titel, „la demeure“, bedeutet das Haus, der Wohnsitz, die Wohn- oder Heimstätte, die Bleibe. Die Etymologie des französischen Worts führt zum lateinischen „mora“ – zu Deutsch: Aufenthalt. „La demeure urbaine à pans de bois“ ist ein Haus in der Stadt, das teilweise aus Holz gebaut ist – das Fachwerkhaus. Der Terminus „pan“ ist eine verallgemeinernde Vokabel, die so etwas wie Streifen oder Fläche ausdrückt. Seit dem 16. Jahrhundert ist dieser Begriff in der Juristensprache Frankreichs gebräuchlich. Ein königliches Dekret von 1607, unter Henri IV. erlassen, bezog sich auf die öffentlichen Straßen und untersagte den Fachwerkbau (S. 27). Vorkragungen konnten den Straßenverkehr beeinträchtigen. In der architektonischen Literatur findet sich der Ausdruck „pan(s) de bois“ seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, beispielsweise in dem wichtigen Werk von Mathurin Jousse: „Le théatre de l’art de charpentier…“ (Theater der Kunst des Zimmermanns…), Erstauflage 1627 (liegt inzwischen auch digitalisiert vor).

Die vorliegende Publikation greift zahlreiche Aufmaße von Fachwerkbuten auf, die zwischen 1942 und 1945 entstanden sind. Das Vorwort erklärt dazu, dass man diese historische Bau-weise in jener Zeit als „pittoresk“ (im Originaltext ebenfalls in Anführungszeichen) ansah (S. 6). Hier lebe die Wahrnehmung des 19. Jahrhunderts fort. Ein Hinweis auf die damalige Kulturpolitik des „état français“ wäre an dieser Stelle hilfreich gewesen. Eines der im Buch vorgestellten Aufmaße ist deutsch beschriftet: Strassburg-Elsass, Haus Pflanzbad 42 (S. 344). Der Auftraggeber dieser Maßnahme von 1942 war der „Staatliche Bevollmächtigte für Denkmalpflege“. Gab es damals, kann man sich fragen, Ähnlichkeiten zwischen dem „Dritten Reich“ und „Vichy-Frankreich“ bei der Beurteilung traditioneller Architektur, insbesondere beim Fachwerk?

Bei den im Band veröffentlichten Bauzeichnungen handelt es sich um konstruktionsgerechte Darstellungen, wie sie beispielsweise ein Architekt auf dem Reißbrett entwirft. Auf eine verformungsgetreue Wiedergaben der Konstruktionen hat man verzichtet. Historische Fotos geben Auskunft über den Alterungsprozess der diskutierten Häuser.

Neben dem Gros der Aufmaße aus der Pétain-Periode werden auch jüngere Dokumentationen präsentiert. Besonders eindrucksvoll ist die Bauaufnahme eines erhaltenen Hauses aus Caen (Dép. Calvados), das laut schriftlichen Quellen 1509 errichtet wurde. Eine dendrochronologische Überprüfung ergab den Zeitraum zwischen 1508 und 1512. Es handelt sich um einen schmalen dreigeschossigen Bau, dessen Fachwerkfassade – beschlossen von einem gerundeten Schwebe- oder Vorgiebel – ab der ersten Etage bauzeitlich erhalten ist. Die Traufseiten sind gemauert. Aufgrund farbig gestalteter Gefache an der Straßenseite hatte das Haus schon im späten 19. Jahrhundert die Aufmerksamkeit der Denkmalpflege auf sich gezogen, was zu einer ersten Restaurierung führte (S. 169). Eine Bauuntersuchung, die 2016 von einer weiteren Restaurierung begleitet wurde, hat etliche bauhistorische Details ergeben. Der Putz der Gefache besteht aus Gips, der zu einem kleinen Anteil mit Lehm gemischt ist. Der inkrustierte, polychrome Dekor zeigt verschiedene Motive, die manchmal auf geometrische Vorlagen zurück-zugehen scheinen und an spätgotische Schablonenmalereien erinnern, wie sie von zeitgleichen Holzdecken oder Möbeln bekannt sind. Spätgotischer Natur sind etwa die Muster in der Art kleiner Fischblasen (S. 175).

Nach diesem exemplarischen Vorgriff einige Anmerkungen zum Aufbau der Publikation: In vorderer Position steht ein von Florence Journot verfasster Beitrag über die sakrale Kunst des späten Mittelalters, soweit sie Abbildungen des Fachwerkbaus mitteilt, sozusagen als Hintergrundmaterial. Neben diese bildlichen Quellen, etwa aus Heiligenviten, treten weltliche Chroniken mit ihren Stadtansichten. Viele dieser Illustrationen dürften für eine deutschsprachige Leserschaft Neuland sein.

Als Nächstes folgt Yannick Le Digols Abhandlung über die Dendrochronologie, die in Frankreich etwa seit  dem Jahr 2000 vermehrt zur Altersbestimmung von Gebäuden eingesezt wird. Sie hat, wie es zwei Beispiele in Cahors (Dép. Lot) darlegen, spektakuläre Ergebnisse gebracht. Das Fachwerk eines Hauses  in der Rue Daurade – eine gemischte Bauweise, das Parterre massiv, darüber das Holzwerk – konnte 1273/74 (d) datiert werden, ein Pendant in der Rue Donzelle stammt aus der Zeit um 1289. Beide Gebäude – Stockwerkzimmerungen – besitzen Schwertungen, etagenhohe Aussteifungen, die mit der Schwelle und einem Eckständer verblattet sind. Man kennt Ähnliches eher aus dem 14. Jahrhundert. Insofern sind diese frühen Datierungen in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts überraschend, um nicht zu sagen: sensationell.

An diese dendrochronologische Darstellung schließen sich Alain Nafilyans Texte an, an deren erster Stelle eine kritische Sicht auf die Behandlung des Fachwerkbaus in der Architekturliteratur des 16 und 17. Jahrhunderts steht. Zu bedenken ist dabei, dass sich diese Schriften von Baumeistern der Renaissance und des frühen Barock in der Regel an der Baukunst der antiken Klassik orientieren. Der Steinbau wurde favorisiert; Fachwerk galt nicht nur in Frankreich als überholt. Hinzu kamen staatliche Verordnungen, die den Bau hölzerner Konstruktionen erschwerten oder untersagten. Begründungen hierfür waren vor allem die großen Stadtbrände, vor denen man sich schützen wollte. So hatte Besançon infolge einer solchen Katastrophe im Jahr 1452 den Verlust zahlreicher Häuser zu beklagen. Als Vorsichtsmaßnahmen wurden dort in den nächsten Jahrzehnten Edikte zur Einschränkung des Fachwerkbaus erlassen. Auch das Verbot von Stroh als Dacheindeckung gehörte zu derartigen Vorkehrungen.

A. Nafilyan setzt seine Ausführungen mit einem vielgliedrigen Überblick über die Struktur des Fachwerkhauses im urbanen Umfeld fort. Die darin enthaltenen Definitionen und Darstellungen greifen einerseits Gewohntes auf, so das Verhältnis langer und kurzer Hölzer, und machen andererseits auf weniger Bekanntes aufmerksam. Dies verdeutlicht etwa das Kapitel über die Mischformen des Fachwerks mit der Unterscheidung von „tragenden“ und „nicht tragenden“ Holzgefügen (S. 37-39). Im letzten Fall hat das Fachwerk keine statische Funktion, sondern ist in das Mauerwerk integriert, das allein die Standfestigkeit eines Hauses garantiert. Nach Möglichkeit sind bei einer solchen Bauweise die nicht verzichtbaren, äußeren hölzernen Elemente mit Steinplatten verkleidet. Auf diese Weise sollte bei einer dichten Bebauung die Gefahr einer Verbreitung von Stadtbränden reduziert werden. Eine markante Lösung im Sinn dieser Verbindung von Holz- und Steinbau ist das sogenannte „Haus Armagnac“ in Rodez (Dép. Aveyron), dessen Bauzeit wahrscheinlich zwischen 1525 und 1531 liegt. Über einem gemauerten Erdgeschoss spannt sich als Vorkragung eine konkave Reihe hölzerner Kopfbügen. Die vertikale Fortsetzung ist indes massiv bzw. massiv verkleidet. 

Ausführlich erörtert werden im vorliegenden Band die verschiedenen Arten der Vorkragung, die im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit häufig Angelpunkt der obrigkeitlichen Kritik am Fachwerkbau waren, wie oben angemerkt. Bei der einfachsten Methode eines solchen Raumgewinns ragen die Grundbalken eines oberen Stockwerks über die Rähmkonstruktion des Unterbaus hervor und dienen als „Fundament“ des nächsthöheren Niveaus. Die Ausdehnung der in den öffentlichen Raum ragenden Balken beträgt oft über einen halben Meter. Um ihr Abbrechen oder ihre Durchbiegung unter der oberen Last zu vermeiden, werden sie häufig von Knaggen oder langen Kopfstreben und zusätzlichen Balken oder Sattelhölzern unterstützt, wie es ein spätmittelalterliches Haus in Figeac, 11 rue Séguier (Dép. Lot) zeigt (S. 42). Sein Parterre ist massiv ausgeführt.

Soll die Stabilität einer Vorkragung gewährleistet werden, so empfiehlt sich die Aufsattelung eines zweiten Balkens auf den des Vorsprungs  und eventuell ein Unterfangen durch ein weiteres Konsolholz, in dieser Form praktiziert in Auvillar (Dép. Tarn-et-Garonne) unterhalb einer Dachgalerie, dendrodatiert zwischen 1476 und 1479 (S. 60). Die sichtbaren Balkenköpfe sind oft besonders hervorgehoben, manchmal mit mehrfachen Kehlen und spätgotischen Profilen – vgl. das ehemalige Hôtel de Rascas in Avignon,  (Dép. Vaucluse), errichtet im späten 15. Jahrhundert (S. 85-94), manchmal sogar figürlich gestaltet, wie am „Haus der Konsuln“ in Mirepoix (Dép. Ariège), das laut schriftlichen Quellen aus dem frühen 16. Jahrhundert stammt (S. 348-353).

Als eine sehr kunstvolle Form der Vorkragung gilt die über Unterzügen und Riegeln, von der A. Nafilyan ebenfalls mehrere Beispiele zeigt. Hier sind nicht mehr die Balkenköpfe die Basis für die obere Last. Vielmehr spannt sich der aus der Stockwerkschwelle und weiteren waagerechten Hölzern bestehende Vorsprung von einem zum nächsten Kopf eines Trägers (Unterzuges), die über die Fassade hinaustreten. Die dekorative Wirkung der oft ornamental oder figürlich betonten Horizontalen wird durch parallel verlegte, profilierte Füllhölzer verstärkt, die zwischen dieser Art von Schwelle und dem Fachwerk der Hauswand eingefügt sind. Ein Haus in Gallardon (Dép. Eure-et-Loir), Maison rue Porte-Mouton, ist ein Beleg für eine solche Bauweise (S. 184-195). Das überaus aufwendig gestaltete Gebäude ist im Hinblick auf den Fassadenschmuck ein Zeugnis der frühen Renaissance; nach konstruktiven Kriterien geurteilt unterscheidet es sich aber nicht von spätgotischen Bauten.

Zur erwähnten „Struktur des Fachwerkhauses im urbanen Umfeld“ gehören auch Angaben über die Holzverbindungen, ob verblattet oder eingezapft, über die Aussteifung mithilfe von Streben, Schwertungen oder Windrispen, über den Putz der Gefache und schließlich über die technische Ausführung von Türen und Fenstern.

Damit endet dieser wichtige Teil der Publikation, der die Entwicklung des Fachwerkbaus bis zu seiner Hochzeit im 16. und frühen 17. Jahrhundert ausleuchtet. Das Ende oder der Niedergang dieser Bauweise wurde durch die herrschaftlichen Restriktionen in der frühen Neuzeit befördert. Im 19. Jahrhundert waren die Fachwerkhäuser Synonyme für die heruntergekommenen Quartiere der ärmsten Bevölkerung. Alain Nafiljan zitiert in seiner Zusammenfassung Honoré de Balzac, der in seiner Novelle „Das Haus der ballspielenden Katze“ (La maison du chat qui pilote, Paris 1830) das Ambiente eines „gebrechlichen Hauses“ vor Augen führt, gemeint ist ein desaströser Fachwerkbau im Pariser Viertel um die Rue Saint-Denis (in der Cité, rechts der Seine). Damit lieferte Balzac eine – vermutlich unfreiwillige – Begründung für den radikalen Abriss der mittelalterlichen Altstadt von Paris unter Baron Haussman, die ca. 25 Jahre später begann.

Im Mittelpunkt des folgenden Teils über den Fachwerkbau in Form eines Kataloges stehen ausgewählte Hausbeispiele, welche die allgemeinen Züge des zuvor Erarbeiteten konkretisieren. Sehr intensiv werden in den zugehörigen Aufmaßen konstruktive Details etwa der Vorkragungen behandelt. Die erwähnten historischen Fotos sind überaus informativ. So erhält man beispielsweise auch einen Eindruck von den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg, die den historischen Baubestand insbesondere in der Normandie enorm verkleinert haben.
Die zusammenfassende Bibliographie beschränkt sich auf die in den einzelnen Abhandlungen zitierten Werke. Eugène Viollet-le-Ducs grundlegender Aufsatz über den Fachwerkbau, erschienen in seinem „Dictionnaire raisonné de l’architecture…“ (Bd. 7, 1864), bleibt daher außen vor. Hinweisen möchte ich zudem auf den von Jacqueline Christophe, Denis-Michel Boëll und Régis Meyran herausgegebenen Band „Du folklore à l'ethnologie“.  (Von der Folklore zur Ethnologie), (Éditions de la Maison des sciences de l'homme), Paris 2009. Marie-Noële Denis behandelt in ichrem Beitrag  „L'enquête d'architecture rurale (1940-1968), une étape dans la construction de l'ethnologie française“ die Entstehungeschichte der besprochenen Aufmaßsammlung. Es geht dabei vor allem um die Initiativen des einstigen Pariser Musée national des Arts et Traditions Populaires (MNATP). Und Dominique Lassaigne untersucht den Blick deutscher und österreichischer Volkskundler auf Frankreichs Ethnographie zwischen den beiden Weltkriegen (Regards allemands et autrichiens sur l'ethnographie de la France dans l'entre-deux-guerres).

Insgesamt gesehen, bietet der Band „La demeure urbaine à pans de bois“ eine überzeugende Zusammenfassung des aktuellen Kenntnisstandes zum spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Fachwerkbau in Frankreich – ein eindrucksvoller Beleg für den hohen Stand der Fachwerkforschung in Frankreich.

 

Klaus Freckmann, Berlin

 


Anmerkung der Redaktion: Fotos zu einigen der in der vorstehenden Rezension erwähnten Gebäude finden sich im AHF-Jahrbuch für Hausforschung, Band 68, Fachwerk in Europa, Petersberg 2022, in den Beiträgen von Pierre Garrigou-Grandchamp (Seite 98: Caen) und Klaus Freckmann: Fachwerkvorkragungen in Frankreich und Deutschland (Seite 129: Cahors; S. 132: Rodez; S. 124: Auvillar; S. 125: Mirepoix). Eine parallele Lektüre sei hiermit empfohlen.



Jasmin Schäfer

Dachwerke

Spitzenleistungen barockzeitlicher Bautechnik in der Schweiz

Petersberg, Michael Imhof-Verlag, 2023
464 Seiten, 266 Farb- und 341 SW- Abbildungen
ISBN: 978-3-7319-1302-3
99 EUR


Rezension

Thomas Eißing

Das vorliegende Buch basiert wesentlich auf der von Jasmin Schäfer an der ETH Zürich 2021 vorgelegten Dissertation „Frühneuzeitliche Holztragwerke zwischen 1650 und 1850 im reformierten Kirchenbau“. Diese Dissertation entstand in Zusammenhang eines größeren Forschungsprojektes des Schweizer Nationalfonds (SNF) zur Erforschung der Dachwerke in der Deutschschweiz.

Das zu rezensierende Buch bildet, wie Stefan Holzer im Geleitwort schreibt „in gewisser Weise die Schlussmonographie des SNF-Projektes“, in die auch Ergebnisse der Dissertation von Martin Ganter von 2022 „Ein Landkirchenschema für das Dach? Entwicklungen im Dachwerksbau über katholischen Saalkirchen der Zentral-, Nord- und Ostschweiz von 1600 bis 1850“ eingeflossen sind. Das Buch ist in drei Hauptteile gegliedert, der eine sehr lesenswerte und wohl aktuellste Zusammenfassung der zentraleuropäischen Forschungsgeschichte zu Dachwerken mit dem Fokus auf der Entwicklung der Spannweite oder Lichtweite vorangestellt ist. Die Einleitung zielt auf die Fragestellung, ob und welchen eigenständigen Beitrag die Schweizer Dachkonstruktionen zu der europäischen Entwicklung der Dachtragwerke geleistet haben.

Die Antwort wird schon in der Einleitung angedeutet: es sind die in oder parallel zur Firstebene eingestellten Stabbögen. Dieses wäre zunächst keine ganz neue Erkenntnis, denn durch die Dissertation von Joseph Killer von 1942 zu der Appenzeller Baumeisterfamilie Grubenmann wurde das Phänomen des aus dem Brückenbau stammenden Stabbogens und seine Übernahme in das Dachtragwerk von Wädenswil (1764-1767) schon aufgezeigt. Dies wird selbstverständlich aufgegriffen, aber – und hier ist der Mehrwert des Buches schon deutlich erkennbar – werden die weitgehend unbekannten und nicht minder herausragenden Dachwerke der Baumeisterfamilie Haltiner erstmalig konstruktiv analysiert, durch Planzeichnungen dokumentiert und dreidimensional visualisiert. Johann Jakob Haltiner (1728-1800) und sein Sohn Johann Ulrich Haltiner (1755-1814) wurden im Grubenmannschen Bauunternehmen ausgebildet und führten dann selbständig eigene Bauvorhaben durch, die in der konstruktiven Kühnheit und Eleganz den Grubmannschen Dach- und Brückenkonstruktionen um nichts nachstehen und zur Recht als Spitzenleistung spätbarocker Holzbaukunst angesprochen werden.

Bevor diese im zentralen Teil II des Buches detailliert vorgestellt werden, wird im Teil I die traditionelle Zimmermannskunst der zweiten Hälfte des 17. und des 18. Jahrhunderts behandelt. Hier werden mit abgesprengten bzw. liegenden Stühlen, Hängewerken oder Kreuzbändern bzw. Kreuzstrebenkonstruktionen Dachtragwerke vorgestellt, die in vergleichbarer Form auch in weiten Teilen Südwestdeutschlands zu finden sind. Zugleich wird auf die besondere konfessionelle Struktur der Deutschschweiz mit reformierten und katholischen Kirchenbauten hingewiesen. Während die Sonderform der auf den barocken Architekturtheoretiker Sturm zurückgehende Querkirchen nur bei reformierten Kirchen umgesetzt wurde, sind die Längskirchen mit langgestrecktem Kirchensaal sowohl bei katholischen als auch bei protestantischen Kirchen zu finden. Das konfessionelle Bauen scheint aber wesentlich auch in Konkurrenz zueinander durch das Streben nach einem großen, stützenfreien Saal angetrieben worden zu sein. So sind Spannweiten von 18-21 m nicht unüblich, die größte Spannweite von 22 m wurde aber mit dem Tragwerk der Haltiner über der reformierten Kirche in Horgen (1789-1782) über einem Oval mit segmentbogenförmig vorspringenden Längsseiten realisiert.

Mit dem Bau der Kirche wurde am 28. Juni 1780 begonnen, das komplexe Dachwerk im Oktober und November 1781 in nur zwei Monaten aufgerichtet. Allein dieser Hinweis belegt einmal mehr, mit welcher Effizienz vom Holzeinschlag über die Planung bis zum Aufrichten die Arbeiten organisiert worden sind. Allein dies wäre ein Merkmal eines immateriellen Erbes von Handwerkspraktiken, die heutigen Organisationstrukturen fast überlegen erscheinen. Der Aufrichtvorgang wird in acht isometrischen Darstellungen detailreich nachvollzogen. Zunächst werden bei den mittleren beginnend die Querbinder aufgestellt und zuletzt der doppelte Polygonstabbogen in zwei parallelen Ebenen eingezogen. Die Durchbiegung beträgt nach den aktuellen Vermessungen nur 3 cm, das Dachwerk ist bis auf einige Sparren auch nicht ertüchtigt worden.

Dies steht im Gegensatz zu der Verformung von 15 cm bei dem Stabpolygontragwerk der Grubenmanns in Wädenswil, das damit eine deutlich geringere Steifigkeit aufweist. Dies führt die Autorin auf den Umstand zurück, dass die Haltiner in Horgen die Bauholzquerschnitte mit der Bauteilänge vergrößerten, während die Bauteile der Grubenmannschen Konstruktion unabhängig von der Länge mit gleichen Querschnitten hergestellt wurden. Das Tragwerk der Kirche in Kloten (1785-1786) wurde von den Haltinern über einem Rechtecksaal mit risalitartig vorspringendem Querdach mit breit gelagertem Giebel realisiert. Um die Kehlen auszubilden, wurden hier Diagonalbinder mit Querbindern kombiniert und der zweifache Stabbogen in Längsrichtung eingezogen. Wie in Horgen wurden aufgespreizte zweigeteilte Zughölzer eingesetzt, die mit verkeilten Zapfenverbindungen an den Deckenbalken angeschlossen sind. Das Dachwerk wurde nach nur drei Monaten nach Baubeginn aufgesetzt und der Aufstellvorgang wie in Horgen durch Frau Schäfer mit Isometrien anschaulich dargestellt.

Im Kapitel D, „Hausstrukturen und Raumfunktionen“ werden die wichtigsten Elemente der Bau- und Raumstrukturen der Pfälzer Fachwerkbauten beschrieben, insbesondere Dachformen, Geschossigkeit, Zierformen und Auskragungen (Vorkragungen) als „äußere Hausstrukturen“ sowie vertikale und horizontale Raumgliederungen und die wichtigsten Räume wie Stube und obere Stube, Küche (Ern), Kammern und Keller als „innere Hausstrukturen“. In mehreren Exkursen werden Rathäuser, Laubengangbauten (mit der Erschließung von Obergeschossen durch vorgelegte, offene Laubengänge) und Kniestock- bzw. Kniegeschossbauten als charakteristische Bauformen der Untersuchungsregion behandelt.

Das Kapitel II wird durch Exkurse zum Tragwerk des reformierten Grand Tempel (frz.) in La Chaux-de-Fonds (1794-96), dessen Dachwerk zwar abgebrannt ist, aber durch ein äußerst detailgetreues Modell der Erbauungszeit im Maßstab 1:24 nachvollzogen werden kann, zu Sonderformen mit liegenden und verzahnten Stabbögen und mit aufschlussreichen Bemerkungen zur Herkunft der Stabbögen aus dem Brückenbau mit bildlichen und archivalischen Nachweisen erster Stabbögen aus dem 16. Jahrhundert abgeschlossen. Das Kapitel III beleuchtet das Phänomen, dass die Stabbogenkonstruktionen im 19. Jahrhundert bei Dachwerken nicht mehr weitergeführt wurden, sondern dass nun an italienischen oder antiken Vorbildern orientierte Binderkonstruktionen bei weitgespannten Kirchensälen abgebunden wurden. Diese zeichnen sich durch eine meist geringere Dachneigung, Hängesprengwerke im Querbund nach dem Vorbild der Palladiana (eine nach dem italienischen Architekten Palladio benannte spezifische Ausbildung eines Dachbinders) und durch die Ablastung der Dachdeckung über Rofen und Petten aus. Die Entwicklung wird an der Biographie des Architekten David Vogler deutlich gemacht, der mit Bauaufnahmen von italienischen Dachtragwerken und klassischen Architekturen die Übernahme von Palladiana-Konstruktionen in Schweizer Kirchendachwerke forcierte.

Das sorgfältig und reich bebilderte Buch mit einem komprimierten Katalogteil zeigt detailreich konstruktive Phänomene auf, die methodisch breit mit historisch-kulturellen Phänomen wie den konfessionellen Bedingungen, Archivalien oder den Viten der Baumeister kontextualisiert werden. Lediglich zwei Anmerkungen seien hier erlaubt: Man hätte gerne erfahren, ob die Stabbögen zum Beispiel für die Kirche in Horb statisch tatsächlich notwendig sind oder ob die Querbinder hier nicht allein schon eine ausreichende Tragfähigkeit aufweisen. Zur Klärung dieser Frage wäre eine statische Modellierung eine schöne Ergänzung gewesen.

Bei den Konstruktionen des 19. Jahrhunderts wird häufig von Rofen für die dachhautragenden Hölzer in den Zwischenbinderbereichen gesprochen. Allerdings ist dies nach Auffassung des Rezensenten dann nicht zutreffend, wenn diese Hölzer mit den Deckenbalken ein geschlossenes Dachdreieck ausbilden und daher als Sparren angesprochen werden müssten. Das Aufliegen auf Zwischenpfetten ist lediglich ein Ersatz für einen Kehlbalken und kehrt das fundamentale Prinzip des Sparrensprengwerks nicht um. Den Nachweis eines selbstragenden Sparrendreiecks führt die Verfasserin mit ihrem eigenen Aufmaß Abb. 361, S. 328 selbst. Die Firstpfette mit schrägen Gleitlagerflächen für die Sparren hat sich abgesenkt, so dass die im Firstgelenk verbundenen Sparren nicht mehr aufliegen und ein eigenständiges Traggerüst bilden. Sie können somit im engeren terminologischen Sinn nicht als Rofen angesprochen werden. Die Übernahme der konstruktiven Neuerung von Pfetten-Rofen bzw. Pfetten-Sparrenkonstruktionen wird durch einen Italienbezug begründet. Allerdings ist die Pfetten-Rofen-Bauweise bei ländlichen Hochgerüstragwerken im Schweizer Mitteland mindestens seit dem 17. Jahrhundert belegt und stellt daher zwar in Bezug auf die Kirchendachwerke, nicht aber unter Einbeziehung der ruralen Konstruktionen eine Innovation dar.

99 EUR sind für ein Buch mit dieser Bildqualität, den herausragenden isometrischen Darstellungen und der inhaltlichen Breite ein angemessener Preis und eine klare Kauf- und Leseempfehlung.

Thomas Eißing



Stefan Ulrich

Der frühe Fachwerkbau in der Pfalz

Von seinen Anfängen bis 1698. Mit einem Beitrag von Klaus Freckmann (Archäologische Forschungen in der Pfalz, Reihe C, Band 4)

Neustadt an der Weinstraße, Selbstverlag der Stiftung zur Förderung der pfälzischen Geschichtsforschung, 2003
Festeinband, XIV und 508 Seiten, 522 Farb- und SW-Abbildungen
ISBN 978-3-942189-38-5
59 EUR


Rezension

Heinrich Stiewe

Nach dem hier bereits besprochenen Band „Farbgestaltung im Fachwerkbau“ (2018, s. AHF-Mitteilungen 98, 2021) hat Stefan Ulrich nun seine angekündigte Publikation zum älteren Fachwerkbau der Pfalz vorgelegt – und das Buch hat das Zeug zum Standardwerk für diese südwestdeutsche Region, soviel sei vorausgeschickt. Die Pfalz ist bekannt dafür, dass ihre Städte und Dörfer im Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688-1697) von den französischen Truppen Ludwigs XIV. auf ihrem Rückzug weitgehend zerstört worden sind. Daher ist die Überraschung um so größer, dass im Katalogteil zu diesem Band immerhin 138 Kurzuntersuchungen von gesichert datierten Fachwerkhäusern (oder kombinierten Stein- und Fachwerkbauten) aus der Zeit vor 1698 zusammengestellt werden konnten, davon allein 51 aus Neustadt an der Weinstraße (und 17 aus eingemeindeten Dörfern), wo der Autor seit 2011 als städtischer Denkmalpfleger tätig ist. Neustadt sei als „Etappenstützpunkt“ des französischen Militärs von der Zerstörung ausgenommen gewesen, wird von der regionalen Forschung vermutet, doch konnten auch in anderen pfälzischen Städten erhaltene Fachwerkbauten aus der Zeit vor 1698 nachgewiesen werden, die Gesamtzahl für die Pfalz schätzt Ulrich mit etwa 300 aber als „überschaubar“ ein. Das Ausmaß der Zerstörung war verheerend, dürfte aber von den Betroffenen noch dramatischer dargestellt worden sein, um Unterstützung für den Wiederaufbau zu erhalten.

Für die vorliegende Arbeit konnten allein 55 Fachwerkbauten dendrochronologisch datiert werden (Probenentnahme: Rainer Klopfer, Burghard Lohrum, Datierungen: Hans-Jürgen Bleyer), zu den übrigen lagen verlässliche Datierungen vor. Die Katalogtexte sind mit aktuellen Außen- und Innenaufnahmen sowie farbigen, rekonstruierenden Grundriss-Schemata illustriert. Sie geben detailreiche Beschreibungen der Bau- und Raumstrukturen der Gebäude, teils nach Begehungen, teils nach gründlichen Bauuntersuchungen im Vorfeld von Sanierungen, an denen der Autor besonders in Neustadt/W. vielfach beteiligt war. Klaus Freckmann, der als langjähriger Leiter des rheinland-pfälzischen Freilichtmuseums in Sobernheim/Nahe und Mitherausgeber einer Schriftenreihe zur Dendrochronologie und Bauforschung wichtige Beiträge zur Erforschung des Fachwerkbaus in Rheinland-Pfalz geleistet hat, steuert einen Gastbeitrag zum Fachwerkbau in dem ehemals pfälzischen Städtchen Meisenheim/Glan bei.

In einer knappen Einführung (A) erläutert Ulrich seine Ziele und methodische Vorgehensweise mit Kurzuntersuchungen und dendrochronolo-gischen Datierungen sowie den bisherigen Forschungsstand zum Fachwerkbau in der Pfalz. Bei der Beschreibung des konstruktiven Gefüges der Fachwerkbauten legt Ulrich die aktuelle Neuauflage des Werkes „Vorindustrieller Holzbau. Terminologie und Systematik für Südwestdeutschland und die deutschsprachige Schweiz“ (2. Auflage 2022) zugrunde. Für alle mit dieser neuartigen Fachterminologie nicht vertrauten Leser, Fachkollegen und interessierte Laien gleichermaßen, stellt Ulrich ein systematisches Kapitel B „Begrifflichkeiten und grundsätzliche Konstruktionsprinzipien“ voran. Hier werden die Bezeichnungen für die verschiedenen Bauhölzer und Holzverbindungen sowie die wichtigsten Konstruktionsweisen von Gebäude- und Dachgerüsten erläutert. Insbesondere einige neuartige Begriffe wie „First-“ und „Traufgerüste“, die früher als Firstsäulen- oder Firstständergerüste bzw. Wandständergerüste bezeichnet wurden, stiften leicht Verwirrung und bedürfen der Erklärung, zumal sie erst in der zweiten, überarbeiteten Auflage der „Terminologie und Systematik“ von 2022 erscheinen, während in der ersten Auflage von 2012 etwa anstelle von Traufgerüsten noch von „Unterbaugerüsten“ die Rede war. Auch die Grundformen der Dachgerüste, das Rofen- und Pfettendach sowie das Sparrendach, werden hier erläutert.

Im folgenden Kapitel C „Wichtige bauliche Einzelheiten“ geht Ulrich zunächst auf Lehm, Bruchstein und Backstein als wichtigste Baumaterialien sowie die verwendeten Holzarten Eiche, Tanne, Fichte und Kiefer ein. Weiterhin enthält dieser Abschnitt Informationen zu Dacheindeckungen (überwiegend mit Hohl- und Flachziegeln, aber auch mit Schiefer), zu Aufrichtung und Abbund einschließlich der Verwendung von Abbundzeichen, zu Fensteröffnungen und -verschlüssen, insbesondere zu den charakteristischen Fenstererkern sowie zu Farbfassungen und zur Dendrochronologie. Der Abschnitt zur Farbigkeit konnte knapp gehalten werden, da Ulrich ja erst 2018 sein umfassendes Werk zur „Farbgestaltung im Fachwerkbau“ für die Regionen Pfalz und Kurpfalz publiziert hat.

Kapitel D gibt einen chronologischen Überblick zur „Entwicklung des Fachwerkbaus in der Pfalz“, die am Ende zusammengefasst und im Vergleich mit benachbarten Regionen in einen größeren Kontext eingeordnet wird. Darauf folgt unter F der Gastbeitrag von Klaus Freckmann zu Meisenheim (S. 131-148).

Als älteste Fachwerkbauten des Untersuchungsgebietes konnte Ulrich immerhin acht Häuser des 14. Jahrhunderts in Neustadt an der Weinstraße ermitteln; frühestes Beispiel ist Hauptstraße 51 von 1337 (d). Zumeist handelt es sich um Hochständergerüste mit First- oder Spitzständern, rasterartigem Gitterfachwerk mit überblatteten Riegeln sowie nur wenigen Streben und steilen, zur Straße weit vorkragenden Giebeln oder auch Traufwänden (Hintergasse 12, 1376 d; Metzgergasse 3, 1382 d). Neben gemauerten Erd- oder Kellergeschossen gab es auch 3,5 bis 4,5 m hohe, hallenartige Erdgeschosse, wie sie auch aus dem benachbarten Hessen bekannt sind. Im 15. Jahrhundert kommen Freigespärre hinzu (die es sicher auch schon im 14. Jahrhundert gab), um 1450 erscheinen erstmals galerieartige Laubengänge und der als „Sprengstrebenlängsbund“ bezeichnete liegende Dachstuhl.

1538 (d) ist erstmals die bekannte Strebenfigur aus langen Fußstreben und Kopfwinkelhölzern, die sogenannte Mannfigur, nachweisbar. Um 1550 setzten sich dann auch in der Pfalz reich ge-staltete und rot, gelb oder grau gefasste Zierfachwerke mit ornamentalen Streben und Fenstererkern durch, wie sie auch in benachbarten hessischen und badischen Regionen verbreitet sind – und die bis weit ins 18. Jahrhundert die pfälzischen Städte und Dörfer prägen sollten. Die Raumstrukturen der meisten Häuser sind durch Zwei- oder Dreizonigkeit mit einer Eingangs- und Küchenzone (Ern) sowie Stockwerkbauweise gekennzeichnet, wobei Stuben und repräsentative Wohnräume, die oft mit Erkern ausgestattet waren, vielfach in den Obergeschossen lagen.

Der umfangreiche Katalogteil im Anhang (C) enthält ausführliche Baubeschreibungen zu 138 Häusern und nimmt fast zwei Drittel des Buches ein (S. 149-498). Dieser Katalog bildet die Materialgrundlage der Arbeit und macht zugleich ichren eigentlichen Quellenwert aus. Ortsregister, Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Abbildungsverzeichnis beschließen den Band.

Das Buch ist durchaus anspruchsvoll gestaltet und mit überwiegend farbigen Fotos und Zeichnungen reich bebildert. Leider sind einige der grafischen Abbildungen stark „verpixelt“ und unscharf wiedergegeben, auch fehlen bei den in unterschiedlichen Größen abgebildeten Grundrissen, Ansichten und Schnitten Maßstäbe als Hilfsmittel zum Größenvergleich.

Dessen ungeachtet hat Stefan Ulrich mit diesem Buch, das er mit großem Engagement neben seinen Dienstaufgaben als städtischer Denkmalpfleger geschrieben hat, ein Standardwerk zum älteren Fachwerkbau der Pfalz geschaffen, das eine wichtige Forschungslücke zum ansonsten gut aufgearbeiteten Fachwerkbestand in Südwestdeutschland schließt. Zugleich leistet Ulrich mit diesem attraktiv bebilderten Überblickswerk, das sich auch an Hausbesitzer und historisch Interessierte in der Region wendet, einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Verankerung der Denkmalpflege, wie Thomas Eißing in seinem Vorwort (S. VII) hervorhebt.
    
Heinrich Stiewe